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Unser Theater

Schauspielschulausflug nach Luxemburg

08. Dezember 2016

BALCON DROIT

Gelegentlich unternimmt die Schauspielschule Siegburg auch mal Ausflüge in fremde Gehege. Nicht, dass es uns Schauspielschülern zu karg wäre in der schönen Studiobühne, aber rumkommen möchte man ja doch, und die Arbeit und künstlerische Vorgehensweise der entfernten Kollegen in Köln, Bonn, Frankfurt, Dortmund oder Wien dürfte für uns heranwachsende Bühnenschauspieler auch nicht uninteressant sein. Gefreut habe ich mich außerordentlich, als es im Herbst des letzten Jahres hieß, einer dieser Ausflüge sollte nun ins Ville de Luxembourg gehen, wo das Tanztheater Pina Bausch gastierte. Hierzu muss ich sagen, dass ich den Bereichen Tanz und im Besonderen Tanztheater sehr zugeneigt und in höchstem Maße ein Bewunderer von Pina Bausch und ihren Arbeiten - um nicht zu sagen ihrer Sprache bin. Schon seit Langem wollte ich mal eine ihrer Inszenierungen „live“ miterleben; bisher war es nicht dazu gekommen.

Am 07.12.2016 um 20 Uhr sollte sich das dann ändern. Schulleiter René Böttcher hatte Karten für das Stück Vollmond organisiert, das 2006 seine Uraufführung hatte und im Gegensatz zu mir schon einmal um den Globus gereist ist. Dies deutet unter anderem darauf hin, dass ich wohl nicht der Einzige zu sein scheine, der Gefallen an jener Bewegungskunst findet, derer ich dann Zeuge wurde. Wohlgemerkt nicht in der ZDF – Mediathek vor meinem Laptop sondern auf balcon droit eines luxemburgischen Theaters. Eine Fahrgemeinschaft bestehend aus einem Auto, vier Mitschülern, unter denen eine vertrauenswürdige und kompetente Fahrerin weilte, sowie Salzstangen, Kräuterbutter, Brezeln und Multivitaminsaft gestalteten Hin-und Rückreise ziemlich angenehm. Ich weiß noch, wie mein Puls stieg, als ich um etwa 19:15 das recht pompöse Theater betrat. Ich stellte mir vor, wie sich die Tänzer in irgendeiner Kabine jetzt wohl aufwärmten, sich dehnten, meditierten, noch einmal alle Choreographien im Kopf durchgingen, und ich fragte mich, ob wirklich alle Tänzer aus dem Ensemble da waren, das ich bereits aus den Aufzeichnungen kannte. Ich hatte so ein bisschen das Gefühl, mich nun auch vorbereiten zu müssen, wollte besonders wach sein, um alles mitzukriegen. Auf meiner Karte las ich „Platz 828“, was mich zuerst weniger erfreute, da ich ein begeisterter Ganzvornesitzer bin und nichts weniger gemütlich finde als wackelnde und sich reckende Köpfe vor mir im Theater. Dank eines glücklichen Zufalls, vermischt mit einem Funken flammenden Egoismus, erhielt ich in der ersten Reihe des dritten Balkons einen Platz - und nicht ganz hinten so wie es mir die Karte vorgeben wollte. Und erfreulicher Weise war der dritte Balkon von Dreien der Mittlere. Ich schaute also von oben geradeweg auf eine düstere Bühne, darauf ein Felsen bleich erhellt. Der Felsen schien aus echtem Gestein entsprungen und tonnenschwer. Kurz dachte ich darüber nach, wie die den wohl dahin bekommen haben mochten, da wurde auch schon das Saallicht gedimmt. Und dann geschah zwei Stunden Folgendes: 120 Minuten bekam ich durchweg (die meiner Meinung nach störende Pause bitte weg gelassen!) nicht mehr mit, was hinter oder neben mir geschah, geschweige denn, was mit mir selbst passierte. Mein komplettes Sinnesleben und Denkvermögen war dem Spiel auf der Bühne gewidmet. Dieses Phänomen des Eintauchens ist übrigens das, was mir am Theater als Zuschauer den größten Genuss beschert. Hier muss ich hinzufügen, dass mich sicher nicht jedes Stück, jeder Regisseur, jeder Schauspieler oder Tänzer wirklich eintauchen lässt. Meistens darf ich nur von außen drauf schauen, und dann höre ich das Husten in der Reihe hinter mir und muss ab und zu über das grünleuchtende Notausgangsschild nachdenken. All dieses registrierte ich diesmal nicht. Das Stück Vollmond samt Ensemble ließen mich eintauchen. Und es verlangt mir keine Erklärung ab. Warum am Anfang des Stückes zwei Tänzer leere Plastikflaschen hoch und runter schwingen und dann ein dritter mit zwei Stäben dazu tritt und einen davon so lange im Takt mit schwingt, bis er den anderen übergibt, das kann ich leider mit keinem wissenschaftlich fundierten Faktum oder irgendwelchen allgemeingültigen Gesetzen erklären. Ich fühle mich aber auch nicht dazu aufgefordert, weil ich trotzdem verstehe. Und vielleicht würde ich es in zehn Jahren mit etwas mehr Wissens- und Erfahrungsschatz anders sehen, aber ich verstehe schon jetzt. Ich sehe Menschen, die im Wettbewerb mit- und für- und gegeneinander ehrlicher und beinahe interessanter wirken, als die, die mir in der Realität jeden Tag auf der Straße begegnen. Ich sehe, wie sie unter dem leiden und sich gleichermaßen daran ergötzen, was man als Regeln der Gesellschaft und Barrikaden der Unsicherheit verstehen kann. Ich entdecke die lächerliche Konkurrenz - aber auch die wichtig wirkende, die dramatische. Und ich bin Beobachter wunderbarer Tänze, die in ihrer Perfektion oft frisch improvisiert wirken, manchmal wehtun und hin und wieder an Schönheit nicht zu übertreffen sind. Und so ganz nebenbei ist da auch noch dieser gewaltige Felsen (ich weiß jetzt übrigens, was es mit seiner Konsistenz auf sich hat, werde es aber nicht weiter verraten) und darunter herführend ein schmaler Fluss, der die Bühne teilt. Des Öfteren treffen sich in Pinas Vollmond Männer und Frauen, die ihre Verhältnisse ausprobieren, sich annähern, trennen, flirten, streiten, sich aus- und benutzen, es manchmal sehr ernst meinen, manchmal weniger. Nie wird mir eine billige „amEndegehtesnurumSex“–Geschichte verkauft und ganz gleich, ob sich mit Zitronensaft eingerieben, miteinander gekämpft oder eine Hand verbogen wird – ästhetisch bleibt es immer. Am Ende dieses kleinen Berichtes will ich nicht mehr, als mich für einen (nicht nur daher gesagt!) unvergesslichen Abend in Luxemburg bedanken.

Und nicht vergessenen: Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren!